Der Verlust des Kumpel-Kanzlers

Frankreichs Präsident Chirac könnte ohne Schröder die Führungsrolle in Europa verlieren

Jacques Chirac liebt das Risiko genauso wie Überraschungen. Das hat der französische Staatspräsident in seiner langen Karriere immer wieder bewiesen. Häufig hatte er Glück damit, manchmal ist er gescheitert. Zum Beispiel, als er 1997 das Parlament auflöste – und seine Partei die darauf folgenden Neuwahlen verlor.

Chirac dürfte Gerhard Schröder für seine Entscheidung zu vorgezogenen Bundestagswahlen daher bewundern. Doch er wird auch bangen – dass er einen verlässlichen Partner in Europa und seinen Kanzler-Kumpel in Berlin verliert.

Die offiziellen Reaktionen auf Schröders Coup sind in Paris bisher zurückhaltend. „Unsere Beziehungen sind nicht abhängig von politischen Farben in Berlin oder Paris“, verkündet Außenminister Michel Barnier. „Wir werden auch weiterhin zusammen arbeiten“, egal wie die für diesen Herbst geplante vorgezogene Neuwahl des Bundestages ausgehen werde.

Doch so ganz gelassen dürfte die Regierung in Paris einer möglichen Kanzlerin Angela Merkel nicht entgegenblicken. Die CDU-Chefin hatte im Vorfeld des Irakkrieges die Politik von Chirac und Schröder harsch verurteilt – und sich an die Seite von Washington gestellt. Auch in der Frage des EU-Beitritts der Türkei vertritt sie eine andere Position als Chirac.

„Es wird auf jeden Fall Anlaufschwierigkeiten geben“, schätzt daher Martin Koopmann von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Viel hänge nun aber von den Konsequenzen des „Non“ beim Verfassungsreferendum ab – und von der zukünftigen Stellung von Chiracs bisherigem Parteichef und künftigen Innenminister Nicolas Sarkozy, glaubt der Frankreich-Spezialist, denn die Kontakte von Sarkozy und Merkel seien sehr gut. „Das Geben und Nehmen allerdings, das sich zwischen Kanzler und Präsident eingespielt hat, wird anfangs so nicht funktionieren.“

Yves Bur, Vize-Präsident der Assemblée Nationale, befürchtet nach der negativen Antwort der Franzosen auf die Verfassungsfrage eine dauerhafte Schwächung Frankreichs in Europa. Und noch schwerer könne es mit einer Kanzlerin Angela Merkel Kanzlerin werden. „Frankreich wird seine Führungsrolle in Europa verlieren, die neue Bundesregierung stärker werden. Für die deutsch-französische Zusammenarbeit müssten dann neue Regeln aufgestellt werden“, sagte er europa-digital.

Das hieße auch: Deutschland hätte eine Chance, die Rolle als ewiger Juniorpartner vielleicht ein Stück weit zu verlassen. Für Chirac werde die Zusammenarbeit mit einer Kanzlerin Merkel aber auf jeden Fall schwierig, ist Bur sicher. „Die Politik der UMP ist in vielen Punkten linker als die von Schröder. Mit Merkel stünde Chirac vor einer neuen Herausforderung.“

europa-digital.de, 3.Juni 2005