Zieht euch schwarz an. Wir tragen Trauer

Doch nur wenige folgen spontan: Wie französische Studenten auf Le Pens Wahlerfolg reagieren

Am 1. Mai ging eine Million Franzosen gegen den Rechtsextremisten Le Pen auf die Straße. In Grenoble war es mit 50 000 die größte Demonstration seit Kriegsende. Hier befindet sich auch das „Institut d Études Politiques“ (IEP), eines der neun Politik-Institute in Frankreich. Aus diesen „Grandes Ecoles“, Elite-Hochschulen, stammen fast alle einflussreichen Politiker. Was passiert nun nach der Präsidentenwahl, die die politische Elite Frankreichs in Schock versetzt hat, an einem solchen Institut?

Abgesehen von ein paar bestürzten Gesprächen war im Institut kurz nach der Wahl nicht viel zu merken. Nur wenige Studenten kamen zu einer Spontan-Demonstration am Wahlabend. Wer da war, folgte am nächsten Tag in der Uni dem Motto: „Zieht euch morgen schwarz an. Wir tragen Trauer“. Aber das waren wenige. Wer das französische Uni-System kennt, wird sich nicht wundern: Studenten sind in Frankreich relativ unpolitisch. Das gilt auch für Politikstudenten. Der Stundenplan ist fast bis ins Detail vorgegeben, Kurse wählen kann man kaum. Der Dozent redet, die Studenten schreiben mit – und zwar alles. Selbst die Witze der Profs, behaupten böse Zungen. Diskussionen gibt es selten im Unterricht, eigene Meinung zählt nicht viel, ist eher unerwünscht. Französische Studenten dürfen erst in ihrer Doktor-Arbeit das Wort „ich“ benutzen, vorher ist es in schriftlichen Arbeiten schlichtweg verboten. Eine eigene Meinung, so meinen viele Franzosen, kann man erst dann haben, wenn man sich jahrelang mit Theorien auseinander gesetzt hat.

Auch die Präsidentenwahl ist also erst einmal kein Thema für Politik-Studenten ohne Diplom. Dabei hätte man meinen können, die Studenten in Grenoble seien aktiver. Das dortige IEP ist eines der wenigen linken Politikinstitute Frankreichs. Bei einer Simulation, ein paar Tage vor der Präsidentenwahl, stand der Sieger eindeutig fest: Noël Mamère, der Kandidat der Grünen, hatte mit über 30 Prozent die anderen Bewerber haushoch überflügelt. Weit dahinter, mit gut der Hälfte der Stimmen von Mamère, kam Lionel Jospin. Vor Jacques Chirac, der gerade einmal vier Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, platzieren sich die Trotzkisten Arlette Laguiller und Olivier Besancenot. Umso verwunderlicher, dass am IEP Grenoble am Tag nach der Wahl nicht viel los war. In den Kursen konnte man den Eindruck gewinnen, die Dozenten hätten den Wahlausgang verschlafen – kaum einer wich von seinem Kursprogramm ab, um über das zu reden, was ganz Frankreich beschäftigte.

Auffallend ist eines: Politikstudenten aus anderen Ländern Europas gehören zu den Aktivsten. Auf der Spontan-Demonstration nach der Wahl waren die Grenobler ERASMUS-Studenten zahlreich vertreten. Bereits am Tag darauf hing im Institut ein Aufruf mit der Überschrift: „Nein zu Le Pen. Geht wählen am 5. Mai“. Verfasst hatte ihn William Sheard, Austausch-Student aus Manchester. In den nächsten Tagen blieb er der einzige Aushang im ganzen Institut.

Die Franzosen hingegen brauchten lange. Jene, die von Anfang an aktiv waren, schafften es nur langsam, auch andere Studenten zu mobilisieren. Vor einer Woche gab es ein erstes Treffen, um zu überlegen, wie das IEP aktiv werden könnte. Ein Großteil der 800 Studenten war da, Profs dagegen keine. Auch der Direktor nicht, der mehrfach eingeladen worden war. Letztlich kam er doch noch, nachdem eine Delegation Studenten ihn bei sich im Büro abgeholt hatte. Eine Rede, auf die alle gehofft hatten, hielt er nicht. Aus aktueller Politik hält er sich lieber heraus.

Einer, der von Anfang an dabei war, ist Fahdi. Am Wahlabend lief er unter Tränen auf der spontanen Demonstration mit, er versuchte, andere zu mobilisieren. Fahdi fühlt sich vor allem selber betroffen: Sein Vater ist Marokkaner. Der Erfolg Le Pens macht ihm schlichtweg Angst. Vor allem aber weiß er nicht, wie er sich verhalten soll. „Wen soll ich denn wählen am 5. Mai? Le Pen natürlich nicht, aber Chirac macht doch auch seit sieben Jahren Politik gegen meine Familie.“

Jetzt, kurz vor der Wahl, scheinen die IEP-Studenten wirklich aufgewacht zu sein. Im Audimax ruft ein Transparent dazu auf, am Sonntag wählen zu gehen. Außerdem fand bereits am vergangenen Sonnabend – noch vor dem Großdemonstrationstag 1. Mai – in Grenoble die größte Le-Pen-Demonstration außerhalb von Paris statt. Ein Großteil der Politik- Studenten war dabei. Und auch der Instituts-Direktor ist mitgelaufen.

Berliner Zeitung, 3. Mai 2002