Düpiert nach der historischen Rede vor dem US-Kongress

GM-Entscheidung hat die Regierung in Berlin kalt erwischt

Berlin, 4. November (AFP) – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war in Washington bereits auf dem Weg zum Flugzeug, als die Bombe platzte: General Motors (GM) will Opel doch nicht verkaufen, die deutsche Tochter soll im US-Konzern verbleiben. Mit der Entscheidung hat der GM-Verwaltungsrat die deutsche Politik nicht nur kalt erwischt, sondern auch mächtig düpiert. Das gilt auch und vor allem für die Kanzlerin, die sich am Tag der Entscheidung nicht nur für ihre Rede vor dem US-Kongress hatte feiern lassen, sondern auch mit US-Präsident Barack Obama zusammengetroffen war.

Es hatte in den vergangenen Wochen immer wieder Andeutungen gegeben, und doch hatte in der Regierung in Berlin niemand mit der Entscheidung gerechnet. GM selbst war es gewesen, das die Suche nach einem Käufer für Opel kurz vor der Pleite angestoßen hatte. Dass der Konzern, der inzwischen in Staatshand ist, diesen Prozess jetzt einfach abbricht – das war für das politische Berlin unvorstellbar. Merkel zeigt sich entsprechend verärgert, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hält die Entscheidung gar für völlig inakzeptabel.

Doch was für die Politik ein Paukenschlag war, kam für Autoexperten nicht völlig überraschend. „Die Bundesregierung überschätzte, was sie in der Lage wirklich tun konnte“, sagt Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Die frühe Festlegung der Regierung auf Magna im Wahlkampf sei deshalb „nicht glücklich“ gewesen. „Man versuchte, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, wo man keine hatte.“ Für GM sei es „immer die Option Nummer eins“ gewesen, Opel zu behalten. „Nur hat dazu vorher eben das Geld gefehlt.“

Nach Ansicht von Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler änderte sich die Situation für GM mit dem schnellen Ende der Insolvenz des Konzerns. „GM agiert wieder mehr wie ein normales Unternehmen und beginnt, in die Zukunft zu blicken.“ Der US-Autobauer benötige Opel für den Bau kleiner Autos mit effizienten Antrieben. Das sieht auch Bratzel so und fügt hinzu: „GM braucht ein europäisches Standbein, weil es hier Millionen von Autos zu verkaufen gibt.“

Das bedeutet aber nicht, dass GM alle Opel-Mitarbeiter an allen Standorten behalten will, und die Bundesregierung setzt auch das wieder unter Zugzwang. GM-Chef Fritz Henderson kündigte an, sein Konzern wolle in Kürze einen Plan zum Unternehmensumbau vorlegen. Dann wolle GM Deutschland auch um Hilfe bei der Umsetzung der Pläne bitten.

Damit dürfte GM zumindest in den kommenden Wochen in Berlin auf Granit beißen. So ließ Merkel ihren Regierungssprecher Ulrich Wilhelm kaum zwei Stunden nach Bekanntgabe der GM-Entscheidung die schnelle Rückzahlung des Milliardenkredits fordern, den Berlin zur Überbrückung für Opel gewährt hatte. Zugleich ist die Bundesregierung überzeugt, dass GM nach Bekanntgabe seiner Pläne zum Unternehmensumbau nach Finanzhilfen anfragen wird.

Die Gewährung möglichen Staatsgeldes macht Berlin von der Zuverlässigkeit des Antragstellers abhängig. Das Vertrauen Berlins in die GM-Führung aber wird als zerstört beschrieben. Es gebe kein Anrecht auf Staatshilfen, wird deshalb betont. Trotzdem weiß die Regierung natürlich, dass sie im eigenen Land daran gemessen werden wird, ob sie einen massiven Jobabbau verhindern kann.

Deshalb ist zu vermuten, dass die Regierung versuchen wird, das zuletzt gute Verhältnis mit den USA zu nutzen, um hinter den Kulissen das beste aus der Situation zu machen. Denn grundsätzlich gestört sein dürften die Beziehungen zu Washington nicht, betont USA-Experte Eberhard Sandschneider von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). „Die Entscheidung von GM wird für die deutsch-amerikanischen Beziehungen im strategischen Bereich nichts ändern.“ Denn auch der Regierung dürfte klar sein, dass ein gutes Verhältnis keine Interessengleichheit bedeute. „Am Ende ist es ein Spiel unterschiedlicher Interessen“, sagt Sandschneider.

(c) AFP, 4. November 2009